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Liebe auf den ersten Blick

Sie sitzt vormittags wie immer am Computer und arbeitet. Es macht „plong“ und sie sieht, dass ihr Sohn sich auf Skype eingeloggt hat. Der studiert in Hamburg und kommt nur selten nach Hause. Sie schreiben ein bisschen hin und her und fragen, wie es dem Anderen geht. Die Antworten gleichen sich meist. Alles o.k. oder prima und so. Harmloses Geplänkel, wie eigentlich jedes Mal. Doch als er sie fragt, was sie macht, antwortet sie diesmal: Arbeiten und Schlafen wie immer zuvor. Das ist anders als sonst. Das klingt nicht so fröhlich und munter wie üblich. Selbst wenn man es nur schreibt, sieht dieser Satz irgendwie nach Resignation aus. Das fällt auch ihrem Sohn auf. Die nächste Frage lautet daher, ob dazwischen immer noch keine Zeit für etwas anderes wäre. Darauf sollte ihre Antwort eigentlich sein, dass sie jedenfalls nie Langeweile habe. Doch diesmal schreibt sie: Es ist nicht so, wie ich mir das eigentlich vorgestellt habe. Er fragt nach. Sie lenkt ab, wechselt das Thema und kommt damit durch. Dann muss er zur Uni und loggt sich aus.

Mit ihren Gedanken wieder allein, starrt sie den Monitor an: Wie habe ich mir mein Leben eigentlich vorgestellt?

Sie wollte immer eine große Familie, mit vielen Kindern, ein Haus mit Garten und etlichen Tieren.

Das Haus hatte sie bekommen. Inzwischen verfügte sie über mehr Platz, als ihr im Grunde genommen lieb war. Vor Jahren war es ihr eng erschienen. Damals als Peter noch bei ihnen wohnte. Er war laut, bestimmend und trank gern mehr, als er vertrug. In diesem Zustand wurde er unberechenbar. Dann versuchte sie sich zu verstecken, die Kinder aus dem Weg zu schaffen. Haus und Garten reichten manchmal nicht aus. Er fand sie und dann war die Hölle los. So kam es, dass sie, als er sie irgendwann wegen einer anderen Frau verließ, nach dem ersten Schmerz eine Art Erleichterung verspürte. Sie konnte aufatmen und die Kinder ebenso.

Ach ja, die Kinder. Drei waren es an der Zahl. Alle wohlgeraten oder wie man das so nannte. Die eine Tochter studierte Medizin in Rostock. Die zweite war Lehrerin in der Nähe von Berlin. Die Mädchen waren schon vor einiger Zeit ausgezogen, um eigene Wege zu gehen. Und nun war im Sommer auch der jüngste Sohn zum Studium nach Hamburg gegangen. Das Haus ist leer geworden. Längst scheint es ihr nicht mehr zu klein. Sie vergräbt sich in ihre Arbeit. Das ist nicht schwer. Wer als freie Übersetzerin arbeitete, sitzt oft stundenlang am Computer. Meistens vergisst sie die Zeit um sich herum. Sie arbeitet bis sie müde wird. Dann schläft sie einige Stunden, manchmal auch in der Wanne, bis sie vor Kälte zitternd aufwacht, und setzt sich erneut an den Computer. Gegessen wird nebenbei. Den Garten hat sie längst sich selbst überlassen. Aus dem Haus braucht sie eigentlich nur zu gehen, wenn ihre Vorräte zu Ende sind oder wenn sich die Kinder zu Besuch angekündigt haben. Arbeiten und Schlafen. Das war ihr Leben geworden.

Doch vor einigen Tagen hatte sie per Zufall beim Surfen im Internet sein Foto gesehen. Und das ging ihr jetzt nicht mehr aus dem Kopf. Eigentlich sah er gar nicht besonders aus. Freundlich hätte man ihn vielleicht beschreiben können. Sonst eigentlich: Normal, nichts weltbewegendes. Allerdings diese Augen! Die konnte sie einfach nicht mehr vergessen. Was für ein Blick! Der war ihr durch Mark und Bein gegangen. Auch die Beschreibung passte perfekt, so als hätte er geradezu auf sie gewartet: Liebt lange Spaziergänge, ist neugierig auf das Leben, kuschelt gern, mag es, zu verreisen. Das wäre der perfekte Begleiter, um wieder in die Welt hinaus zu gehen, hatte sie gedacht und war dann doch schnell zu einer anderen Seite im Web gewechselt.

Aber sein Bild scheint sie regelrecht zu verfolgen. Sie muss immer an ihn denken. Kurz entschlossen ruft sie die Internetseite mit seinem Foto wieder auf. Da ist er ja. Und wieder dieser Blick. Er fährt als leichter, stechender Schmerz in ihren Bauch. Ronny steht als Name neben der Kurzbeschreibung. Dazu eine Chiffre und eine Telefonnummer, an die man sich bei Interesse wenden kann. Einfacher geht es wohl nicht. Als sie zum Telefon greifen will, kommen ihr bekannte Zweifel. Vielleicht passt das alles doch nicht so gut. Schließlich muss sie ihr gewohntes Leben radikal umstellen. Will sie das? Aber die Frage ist wohl eher, ob sie so weiter leben möchte, wie sie es jetzt tut. Und wenn sie es diesmal nicht ausprobiert, dann kann es sein, dass sie sich auf ewig, wegen ihrer Feigheit Vorwürfe machen wird.

Also ruft sie doch an. Ihre Hände zittern leicht, als sie die Nummer eingibt. Vielleicht geht ja auch keiner ran, denkt sie. Dann soll es nicht sein. Dann ist es so. Sie will es als eine Art Orakel nehmen. Der Ruf geht raus. Es klingelt dreimal.

Am anderen Ende der Leitung meldet sich eine freundliche Herrenstimme und wünscht ihr einen guten Tag.

Sie grüßt zurück und sagt, dass sie wegen Ronny anruft, nennt die Chiffre und fragt, ob er denn noch zu haben sei.

Am anderen Ende scheint man kurz zu überlegen. Ein Geräusch wie Tastaturklappern klingt durchs Telefon. Es sind nur wenige Sekunden, aber ihr kommt es wie eine halbe Ewigkeit vor. Sie hält sogar die Luft an.

Als die Stimme bejaht, atmet sie erleichtert aus.

Der Mann schlägt ihr ein erstes Treffen vor, damit man sich kennen lernen kann. Schließlich muss man ja wissen, ob die Chemie zwischen Beiden stimme. Und dann könnte man gleich noch alle anstehenden Fragen klären. Sie ist begeistert und obwohl er es nicht sehen kann, nickt sie heftig. Eilig schlägt sie als Termin den morgigen Mittag vor.

Die nette Stimme ist einverstanden und verabschiedet sich mir den Worten:

„Prima, dann kommen sie morgen Mittag bei uns vorbei und schauen sich den Ronny mal an. Wenn sie festes Schuhwerk anziehen, dann können sie gleich mit ihm spazieren gehen. Unsere Hunde im Tierheim sind immer sehr froh, wenn sie ausgeführt werden.“

 

 

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2 Gedanken zu „Liebe auf den ersten Blick“

  1. Hallo Conny, diese Kurzgeschichte …Liebe auf den ersten Blick…ist..richtig richtig ..gut😊…der Schreibstil perfekt…jedenfalls für mich, kurze Sätze in denen alles gesagt wird…und man wird neugierig auf mehr…und dann so ein tolles Ende…ein Hund 😆 freu mich auf mehr….
    LG Simone / Plattenburg

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